Dienstag, 30. April 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
Jandad war meiner Meinung nach der grausamste Kamerad in der Gruppe. Einmal hatte er neun Regierungssoldaten festgenommen. Als ich das hörte, machte ich mich sofort auf den Weg zu ihm. Ich wollte sehen, wie sich die Soldaten uns gegenüber verhielten. Ich hatte noch nie irgendwelchen Gefangenen gesehen. Und schließlich wollte ich auch wissen, was Jandad mit den festgenommenen Feinden vorhatte.
Als ich da war, sah ich Jandad mit noch drei Kameraden unter einem Felsvorsprung unweit von einer Berghöhle.
„Wo sind die Soldaten?“, fragte ich.
„Drinnen in der Höhle“, antwortete Jandad. Dann sagte er zu den dort anwesenden Kameraden: „Sobald der Name „Lenin“ gefallen ist, geht es los“.
Ich verstand gar nicht, was er damit meinte, aber ich fragte auch nicht danach. Ich wollte nur die Soldaten sehen, und wollte wissen, wie Jandad sie gefangengenommen hatte.
Die neun Soldaten waren mit einem militärischen Laster unterwegs gewesen. Jandad und fünfzehn weitere Kameraden hatten sich in einer Grube am Rande der Hauptstraße versteckt. Im richtigen Moment waren alle zusammen aus der Grube herausgekommen und hatten auf den Transporter geschossen. Vor lauter Schreck hatte der Fahrer das Fahrzeug in die Felder gelenkt, wobei es dort umgekippt war. Die Soldaten hatten aus dem Auto das Feuer eröffnet, konnten aber trotzdem von Jandad und seinen Freunden festgenommen und in die Berge verschleppt werden.
„Also vergisst nicht! Unser Wort ist Lenin.“, wiederholte Jandad.
Sie brachten die Gefangenen aus der Höhle heraus. Nicht alle waren Soldaten. Zwei von ihnen waren Unteroffiziere. Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Sie waren immer noch in Uniform, aber ihre Kappen fehlten. Jandad forderte sie auf, sich in einer Reihe aufzustellen. Die Männer zögerten. Jandad richtete seine Kalaschnikow auf sie. „Stellt euch nebeneinander“, rief er. Die drei weiteren Kameraden folgten Jandad und richteten den Lauf ihrer Waffen ebenfalls auf die Soldaten.
„Warum arbeitet Ihr für die ungläubigen Russen?“, fragte Jandad.
Die Männer schwiegen.
„Ihr seid keine Moslems. Ihr seid Ungläubige“, sagte Jandad.
„Wir sind Moslems, genauso wie du“, sagte einer der Männer.
„Ihr seid ungläubig.“
„Woher willst du es wissen? Kannst du in unseren Herzen hineinblicken?“, sagte ein Unteroffizier.
„Ich sehe es in euren Gesichtern.“
„Hörzu mein Bruder! Unsere Väter und Großväter sind Moslems gewesen und wir sind natürlich auch Moslems.“
„Halte deine Klappe, du Kommunist. Du hast es nicht verdient, mich Bruder zu nennen.“
„Wir sind auch Menschen, genauso wie du.“
„Ihr seid Tiere. Sogar die Hunde und die Esel sind mehr wert als Ihr.“
„Wir sind Geschöpfe Gottes. Wir sind Diener Gottes“, hörte ich die Männer rufen.
„Ihr seid nicht Diener Gottes. Ihr seid die Diener von Lenin.“
Als der Name Lenin fiel, wurde aus allen vier Kalaschnikows gleichzeitig auf die Männer geschossen. Ich sah, wie sie zusammensackten. Ihre Schreien wurden vom Rattern der Waffen übertönt. Eine Menge Staub wurde in die Luft aufgewirbelt. Es gab eine kurze Schießpause und ich hörte, wie zwei von ihnen wimmerten. Dann ging Jandad etwas näher und gab jedem zwei Kugeln in den Kopf, und es war dann ruhig.
Ich zitterte am ganzen Körper. Ich glaubte meinen Augen nicht. Ich konnte es nicht fassen, dass all das in der realen Welt geschah.
„Weg hier!“, rief Jandad aus.
Und wir ergriffen die Flucht.
Ich rannte. Ich wollte weg. Weit weit weg. Das war mir zu viel.

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Donnerstag, 11. April 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
In fast allen Dörfern gab es welche Bewohner, die für die Russen spionierten. Sie taten es meistens aus Geldgier. Die Russen hatten besondere Methoden, wenn es um den Informationsaustausch mit ihren Kontaktmännern ging. Immer wenn sie in ein Dorf gingen, zehrten sie ihren Informanten aus dem Haus, nahmen ihn mit ins Auto, als ob er ein Feind von ihnen wäre, und taten so, als würden sie ihn vernehmen. In Wirklichkeit gab der Informant seine Informationen weiter. Die ganze Inszenierung war, um uns zu täuschen. Aber wir hielten ein Auge offen. Jene Männer, die zu oft festgenommen, verhört und wieder freigelassen wurden, standen bei uns unter Verdacht.
Jandad, der grausame Kamerad, rechnete mit den Spionen hart ab, und das war gut so. Die Spione stellten für uns eine große Gefahr dar, da sie unsere Strukturen sowie unsere Zufluchtsorte kannten. Sie waren schuld daran, dass der Feind unsere Verstecke im Dorf entdeckte. Ihretwegen hatten einige unserer Kameraden ihr Leben verloren oder saßen im Knast.
Einmal hatte Jandad einen Verräter in den Bergen verschleppt und mit einem Kopfschuss hingerichtet. Bis in der Nacht ließ er die Leiche dort liegen, dann trug er sie mithilfe seiner Männer bis zu einem Fluss, der von unserem Dorf ungefähr eine Stunde zu Fuß entfernt war, und warf sie ins Wasser. Am nächsten Tag fand ein Bauer die Leiche, die neben ihren Feldern an den Wurzeln eines Baumes hängengeblieben war. Er informierte die anderen Bauern. Die Leiche wurde identifiziert und den Angehörigen übergeben. Sie begruben sie. In der Nacht hatte Jandad sie wieder ausgegraben und neben die Hauptstraße geworfen, um so den Verräter richtig verhöhnt zu haben. Der Gestank war unerträglich, und das war offenbar der Grund, dass Jandad die halb verweste Leiche nicht wieder ausgrub, als sie zum zweiten Mal beerdigt wurde.

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Dienstag, 26. März 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
Zwei Tage, nachdem wir einen russischen Konvoi angegriffen hatten, erschienen zwei Hubschrauber am Himmel und nahmen die Gegend unter Beschuss. Ihnen schlossen sich weitere Hubschrauber an. Sie fingen an, die Felder und Abhänge zu bombardieren. Wir waren überrascht. Jeder suchte irgendwo Zuflucht. Die Dorfbewohner waren in Angst und Schrecken versetzt. Die, die draußen waren, eilten nach Hause. Binnen Sekunden war das Dorf leer. Keiner wagte es, über die Türschwelle zu gehen. Ich versteckte mich in einem Trog im Heu.
Man hörte nur Explosionen und die Rotoren der Hubschrauber. Die Erde bebte. Das Bombardement war sehr heftig.
Die Aktion dauerte über drei Stunden. Als die Hubschrauber nicht mehr zu hören waren, hob ich langsam und vorsichtig den Kopf, um einen Blick nach draußen zu werfen. Von Feldern und Abhängen stieg Rauch auf. Das Dorf war ruhig. Die Schafe im Stahl hatten sich in eine Ecke verkrochen. Sie spürten auch, dass etwas nicht stimmte. Ich fragte mich, ob die Feinde jetzt das Dorf durchsuchen würden. Es waren keine Panzer oder Soldaten zu sehen, aber ich blieb trotzdem in meinem Versteck und vergrub mich noch tiefer im Heu.
Irgendwann nahm ich ein Aufruhr wahr. Vorsichtig hob ich wieder den Kopf. Einige Bewohner eilten in Richtung der Dorfmitte. Unter ihnen sah ich auch manche Kameraden. Das hieß, die Feinde waren weg, und es gab keine Durchsuchung.
Ich verließ mein Versteck und folgte ihnen. Viele Männer waren auf dem runden Platz in der Mitte des Dorfes zu sehen. Irgendwas lag auf dem Boden und mehrere Männer hockten daneben. Als ich näher kam, sah ich eine Leiche auf einem Tuch liegen. Ein Dorfbewohner war das. Er war blutüberströmt. Sein linkes Bein war zerfetzt. Erde klebte an seinem Gesicht und seiner Kleidung.
Eine alte Frau eilte herbei. Als sie einen Blick auf die Leiche warf, fiel sie schreiend auf die Knie und brach zusammen. Die Männer halfen Ihr, auf die Beine zu kommen. Sie stand auf und warf sich auf die Leiche. Die Männer zogen sie zurück. Sie versuchte es wieder. Ihr Kopftuch fiel hin und ihr Kleid war voller Blut. Es war ihr Sohn. Er arbeitete auf den Feldern, als die Gegend bombardiert wurde. Eine vom Hubschrauber abgeworfene Bombe war unweit von ihm explodiert. Es war ein trauriges Bild.
Die Männer trugen die Leiche in Richtung der Moschee. Die alte Frau lief schreiend hinter ihnen her. Mehrmals fiel sie hin, stand wieder auf und lief weiter.
Gegen Abend hielten sie ein Gebet für den Toten, und beerdigten ihn dann auf dem Friedhof, das hinter dem Dorf lag.
Irgendwie fühlte ich mich schuldig an der Sache. Ich hatte die Feinde provoziert und damit den Tod eines jungen Mannes verursacht. Vielleicht sah die Familie des Verstorbenen auch die Sache so.

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