Donnerstag, 7. Februar 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
adelyar, 17:10h
1
München
„Schieß, schieß!“, ruft jemand mir zu.
Es ist laut um mich herum. Explosionen, das Rattern der Maschinengewehre, das Geschrei. Es ist dunkel, aber ich sehe trotzdem alles. Mitten in einem Gefecht stehe ich einfach da. Ich suche nach dem Mann, der mich auffordert zu schießen, finde ihn aber nicht.
Plötzlich sehe ich einen Soldaten, der langsam auf mich zukommt.
„Erschieße ihn!“, höre ich wieder die Stimme rufen. Ich gehe in Stellung, ziele auf den Uniformierten und schieße, treffe ihn aber nicht. Noch einmal drücke ich ab, und wieder daneben. Der Soldat kommt immer näher. Ich stelle meine Waffe auf Schnellfeuer und schieße. Alle Kugeln fallen auf den Boden vor dem Lauf meines Gewehrs. Ich hebe den Blick und sehe den Soldaten, der jetzt fast vor mir steht. Er richtet seine Waffe auf mich und schießt. Und trefft mich ins Gesicht. Direkt auf die Wange unter dem linken Auge. Ich blute, ohne dass es wehtut. Gott! Bald werde ich sterben. Das Sterben ist so einfach gewesen!
Der Soldat kommt ein Schritt näher und schießt noch einmal. Es knallt. Ganz laut.
* * *
Schweißgebadet erwachte ich. Wieder hatte ich diesen verdammten Albtraum. Der ließ mich nie los. Immer wieder versaute er meinen Schlaf. Ich hatte solche starken Kopfschmerzen.
Rücklings gelegen, ohne mich zu drehen, streckte ich meinen Arm und nahm die Flasche Wasser, die auf dem Nachttisch stand, hob meinen Oberkörper ein bisschen und trank ein Schluck. Mein Kopfkissen, das auf einer Seite mit meinem Schweiß feucht geworden war, drehte ich um und legte meinen Kopf wieder darauf und machte die Augen zu. Aber der Schlaf war verschwunden.
Nachdem, dass ich einige Minuten mit offenen Augen im Bett lag, stand ich auf und ging schwankend auf den Balkon hinaus. Es war Sommer. Die Tage waren heiß, und die Nächte angenehm kühl. Es fühlte sich gut an mit Schlafanzug auf dem Balkon zu stehen, und sich von der kühlen Brise, die ab und zu wehte, streichen zu lassen.
Unten auf der Straße hörte ich jemanden laufen. Ich machte ein Schritt nach vorne und beugte mich über die Balkonmauer. Ein Mann, offenbar betrunken überquerte die Straße. Als er auf der anderen Seite war, blieb er unter einer Laterne stehen, kramte in seiner Hosentasche, holte ein Feuerzeug heraus, zündete die Zigarette, die er zwischen seinen Lippen hielt, und lief weiter. Ohne dass ich es wollte, sah ich ihn nach, bis er um die Ecke bog. Wie glücklich und unbekümmert war er!
Minutenlang blieb ich dort, bis die kühle Luft langsam unangenehm wurde. Ich kam wieder ins Zimmer herein, legte mich auf das Sofa und machte das Fernsehgerät an. Es lief eine Dokumentation über die Löwen. Dokumentationen mochte ich. Besonders wenn es um die Raubtiere ging. Schlaue Tiere waren diese Löwen. Ich war begeistert, wie strategisch sie vorgingen, wie geschickt sie jagten. Im Gegensatz zu den Antilopen, die erst dann die Flucht ergriffen, als die Löwen fast vor ihrer Nase waren.
Eines Tages drang ein fremder Löwe in das Revier ein. Das Männchen des Rudels setzte sich ihm entgegen. Es kam zu einem blutigen Kampf. Der Neuling war jung und stark. Am Ende musste der alte Löwe aufgeben. Er gab sich geschlagen. Arg verletzt schlich er sich davon und überließ sein Königreich dem Eindringling. Es war traurig.
Ja, das Leben ist nun mal so. Ab und zu muss man sich geschlagen geben, wenn es nicht anders geht. Das Schicksal meinte mit mir auch nicht viel anders. Ich war einst ein mächtiger und geachteter Mann. Ich war der Anführer von vielen bewaffneten Männern. Ich war wie ein König in meinem Revier. Dann kamen aber neue Gesichter in die Szene. Junge Gesichter. Wie der alte Löwe musste ich das Feld verlassen. Aber im Gegensatz zu ihm, ich setzte mich nicht mal zur Wehr. Ich wich der Schlacht und flieh. Es gab keine Aussicht auf einen Sieg.
Von heute auf morgen verlor ich alles und war plötzlich ein Niemand.
Manchmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Vergangenheit vor mir. Blutige Kämpfe, verweste Leichen, beängstigte Gefangene, in deren Augen man die Botschaft des Todes sah, verletzte und behinderte Kameraden und tausende von Gräbern mit armseligen Mahnmalen. Und zwar so detailliert, als wären sie gestern geschehen.
München
„Schieß, schieß!“, ruft jemand mir zu.
Es ist laut um mich herum. Explosionen, das Rattern der Maschinengewehre, das Geschrei. Es ist dunkel, aber ich sehe trotzdem alles. Mitten in einem Gefecht stehe ich einfach da. Ich suche nach dem Mann, der mich auffordert zu schießen, finde ihn aber nicht.
Plötzlich sehe ich einen Soldaten, der langsam auf mich zukommt.
„Erschieße ihn!“, höre ich wieder die Stimme rufen. Ich gehe in Stellung, ziele auf den Uniformierten und schieße, treffe ihn aber nicht. Noch einmal drücke ich ab, und wieder daneben. Der Soldat kommt immer näher. Ich stelle meine Waffe auf Schnellfeuer und schieße. Alle Kugeln fallen auf den Boden vor dem Lauf meines Gewehrs. Ich hebe den Blick und sehe den Soldaten, der jetzt fast vor mir steht. Er richtet seine Waffe auf mich und schießt. Und trefft mich ins Gesicht. Direkt auf die Wange unter dem linken Auge. Ich blute, ohne dass es wehtut. Gott! Bald werde ich sterben. Das Sterben ist so einfach gewesen!
Der Soldat kommt ein Schritt näher und schießt noch einmal. Es knallt. Ganz laut.
* * *
Schweißgebadet erwachte ich. Wieder hatte ich diesen verdammten Albtraum. Der ließ mich nie los. Immer wieder versaute er meinen Schlaf. Ich hatte solche starken Kopfschmerzen.
Rücklings gelegen, ohne mich zu drehen, streckte ich meinen Arm und nahm die Flasche Wasser, die auf dem Nachttisch stand, hob meinen Oberkörper ein bisschen und trank ein Schluck. Mein Kopfkissen, das auf einer Seite mit meinem Schweiß feucht geworden war, drehte ich um und legte meinen Kopf wieder darauf und machte die Augen zu. Aber der Schlaf war verschwunden.
Nachdem, dass ich einige Minuten mit offenen Augen im Bett lag, stand ich auf und ging schwankend auf den Balkon hinaus. Es war Sommer. Die Tage waren heiß, und die Nächte angenehm kühl. Es fühlte sich gut an mit Schlafanzug auf dem Balkon zu stehen, und sich von der kühlen Brise, die ab und zu wehte, streichen zu lassen.
Unten auf der Straße hörte ich jemanden laufen. Ich machte ein Schritt nach vorne und beugte mich über die Balkonmauer. Ein Mann, offenbar betrunken überquerte die Straße. Als er auf der anderen Seite war, blieb er unter einer Laterne stehen, kramte in seiner Hosentasche, holte ein Feuerzeug heraus, zündete die Zigarette, die er zwischen seinen Lippen hielt, und lief weiter. Ohne dass ich es wollte, sah ich ihn nach, bis er um die Ecke bog. Wie glücklich und unbekümmert war er!
Minutenlang blieb ich dort, bis die kühle Luft langsam unangenehm wurde. Ich kam wieder ins Zimmer herein, legte mich auf das Sofa und machte das Fernsehgerät an. Es lief eine Dokumentation über die Löwen. Dokumentationen mochte ich. Besonders wenn es um die Raubtiere ging. Schlaue Tiere waren diese Löwen. Ich war begeistert, wie strategisch sie vorgingen, wie geschickt sie jagten. Im Gegensatz zu den Antilopen, die erst dann die Flucht ergriffen, als die Löwen fast vor ihrer Nase waren.
Eines Tages drang ein fremder Löwe in das Revier ein. Das Männchen des Rudels setzte sich ihm entgegen. Es kam zu einem blutigen Kampf. Der Neuling war jung und stark. Am Ende musste der alte Löwe aufgeben. Er gab sich geschlagen. Arg verletzt schlich er sich davon und überließ sein Königreich dem Eindringling. Es war traurig.
Ja, das Leben ist nun mal so. Ab und zu muss man sich geschlagen geben, wenn es nicht anders geht. Das Schicksal meinte mit mir auch nicht viel anders. Ich war einst ein mächtiger und geachteter Mann. Ich war der Anführer von vielen bewaffneten Männern. Ich war wie ein König in meinem Revier. Dann kamen aber neue Gesichter in die Szene. Junge Gesichter. Wie der alte Löwe musste ich das Feld verlassen. Aber im Gegensatz zu ihm, ich setzte mich nicht mal zur Wehr. Ich wich der Schlacht und flieh. Es gab keine Aussicht auf einen Sieg.
Von heute auf morgen verlor ich alles und war plötzlich ein Niemand.
Manchmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Vergangenheit vor mir. Blutige Kämpfe, verweste Leichen, beängstigte Gefangene, in deren Augen man die Botschaft des Todes sah, verletzte und behinderte Kameraden und tausende von Gräbern mit armseligen Mahnmalen. Und zwar so detailliert, als wären sie gestern geschehen.
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