Mittwoch, 6. März 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
adelyar, 17:14h
Im Norden Kabuls gab es große Gärten, mit Weinreben und verschiedenen Obstbäumen. Sie waren von Lehmmauern umgeben und somit abgeschirmt vor fremden und unerlaubten Blicken. Im Sommer waren sie sehr gemütlich. Einer dieser Gärten gehörte Mahmouds Familie, und war unser neuer Treffpunkt. Es war Mahmouds Vorschlag. Er meinte, der Garten sei fern vom Stadtzentrum und deshalb eine sichere Ecke. Die Familie seines Onkels lebte in der Nähe, und wir wurden täglich von seinen Cousins mit schwarzem Tee und Würfelzucker versorgt. Ich war sehr stolz auf mich. Ich war ein Mudschahed, ein Gotteskrieger, so wie Mahmoud uns nannte. Ein Aufständischer ohne Waffe! Ob die anderen irgendwelche Waffen besaßen, wusste ich nicht.
Wir waren sieben Männer. Mahmoud, Qader, Wahid, ich und noch drei. Die drei letzteren lernte ich nach und nach kennen. Wir achteten sehr auf die Geheimhaltung unseres neuen Treffpunktes. Den Garten verließen und betraten wir immer einzeln. Laute Unterhaltungen vermieden wir, und keiner durfte einfach so Freunde mitbringen.
Und so dachten wir, dass dieser abgelegene Ort uns sicheren Schutz bieten würde. Es erwies sich aber als Irrtum. Eines Nachmittags erschienen zwei Hubschrauber am Himmel. Das war noch nichts Verdächtiges. In letzter Zeit sah man oft Kampfjets und Hubschrauber über Kabul fliegen. Aber als einer von den Hubschraubern tief über uns hinwegflog, gingen wir davon aus, dass sie uns entdeckt hatten. Panik brach aus. Jeder schlug eine Richtung ein. Ich rannte der Seitenmauer zu, kletterte hinauf und sprang in den Nachbargarten hinunter. Jetzt hörte ich Schüsse. Keuchend verkroch ich mich unter den Weinreben. Ich hatte so eine große Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und zitterte nur. Noch einmal fielen Schüsse, und dann hörte ich, dass sich die Hubschrauber entfernten. Ich rührte mich nicht. Ich dachte, dass jetzt die Soldaten alle Gärten durchsuchen und uns finden würden. Oh Gott! Was habe ich getan! Ich bin so ein Idiot.
Viele taten es und fanden den Tod, hatte mein Vater gesagt. Hätte ich nur auf meinen Vater gehört. Er sagte mir doch, dass es gefährlich sei, sich der Regierung entgegenzusetzen. Er hatte mich doch gewarnt, dass man im Gefängnis landen würde.
Sie würden nicht nur mich, sondern auch meine Familie vernichten. Aber würden sie herausfinden können, wo meine Familie lebt?
Unter den Weinreben wartete ich auf die Soldaten. Ich glaubte fest daran, dass sie mich gleich festnehmen würden. Sogar überlegte ich mir eine Erklärung, um meine Anwesenheit dort zu rechtfertigen: Ich bin ein Student. Ich bin hierhergekommen, um einen Freund zu besuchen. Dabei habe ich mich verlaufen. Ich wollte nur diese Männer im Garten fragen, ob sie mir weiter helfen könnten.
Aber die Gedanken trieben mich immer wieder zur Verzweiflung. Was, wenn sie mir nicht glauben? Was ist, wenn die Kameraden mich verpfeifen? Gott! Wenn ich dieses Mal davon komme, werde ich so etwas nie wieder tun. Gott! Steh mir bei!
Es passierte aber nichts. Keine Soldaten und keine Festnahme. Ich hörte gar nichts. Als wären alle Lebewesen tot gewesen. Vielleicht hatten sie mich nicht finden können und waren weggegangen, dachte ich.
Trotzdem verließ ich mein Versteck nicht. Sie konnten mir eine Falle gestellt haben. Vielleicht lauerten sie draußen darauf, dass ich unter den Weinreben herauskäme. Ich wusste nicht, ob es die anderen geschafft hatten dort wegzukommen.
Mit jeder Minute wuchs die Hoffnung in mir. Die Gefahr schien vorüber zu sein. Ich blieb aber trotzdem unter den Weinreben.
Nach knapp zwei Stunden hörte ich Personen den Garten von Mahmouds Familie, in dem wir angegriffen wurden, betreten. Und dann plötzlich panische Schreie. Offensichtlich waren sie auf etwas Schreckliches gestoßen. Lauter Aufregung redeten sie alle gleichzeitig und extrem laut und deshalb teilweise unverständlich. Als ich aber solche Sätze hörte, wie: „Sie bewegen sich nicht mehr …, holen wir einen Arzt, sie sind beide tot“, wusste ich, was passiert war. Aber wen hatte es getroffen? Es machte mir Sorgen, und natürlich auch Angst, dass zwei Personen draufgegangen waren. Aber ich war froh, dass mir nichts passiert war.
Ich hörte immer mehr Menschen den Garten betreten. Sie waren verwirrt und durcheinander. Es war bestimmt ein schrecklicher Anblick. Sie hatten offenbar noch nie so etwas gesehen und wussten nicht, was zu tun war. Nach zwei, drei Stunden waren sie weg. Hoffentlich mit den Leichen!
Bis nach Mitternacht blieb ich in meinem Versteck. Ich wollte kein Risiko eingehen. Ich war am Leben und frei, und das verdankte ich meinem Glück. Jetzt lag es an mir, klug zu handeln und keinen Fehler machen, um mein Zuhause sicher zu erreichen.
Nachdem ich sicher war, dass keiner mich sehen würde, kam ich vorsichtig unter den Weinreben heraus. Aus Neugier wollte ich einmal zu der Stelle, wo wir angegriffen wurden, zurückgehen, um vielleicht etwas von meinen Kameraden sehen oder finden zu können.
Mit viel Mühe gelangte ich auf die andere Seite der Mauer. Ich war erstaunt, wie einfach ich, als wir angegriffen wurden, die Mauer an derselben Stelle überwunden hatte.
Zu sehen gab es nichts. Die Leichen waren schon weg. Es roch aber immer noch nach Blut. Genauer gesagt, nach einer Mischung aus Schmauch und Blut. Einem Geruch, das Furcht erregte. Noch immer erinnere ich mich an diesem Geruch, obwohl es viele Jahre zurückliegt.
Wir waren sieben Männer. Mahmoud, Qader, Wahid, ich und noch drei. Die drei letzteren lernte ich nach und nach kennen. Wir achteten sehr auf die Geheimhaltung unseres neuen Treffpunktes. Den Garten verließen und betraten wir immer einzeln. Laute Unterhaltungen vermieden wir, und keiner durfte einfach so Freunde mitbringen.
Und so dachten wir, dass dieser abgelegene Ort uns sicheren Schutz bieten würde. Es erwies sich aber als Irrtum. Eines Nachmittags erschienen zwei Hubschrauber am Himmel. Das war noch nichts Verdächtiges. In letzter Zeit sah man oft Kampfjets und Hubschrauber über Kabul fliegen. Aber als einer von den Hubschraubern tief über uns hinwegflog, gingen wir davon aus, dass sie uns entdeckt hatten. Panik brach aus. Jeder schlug eine Richtung ein. Ich rannte der Seitenmauer zu, kletterte hinauf und sprang in den Nachbargarten hinunter. Jetzt hörte ich Schüsse. Keuchend verkroch ich mich unter den Weinreben. Ich hatte so eine große Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und zitterte nur. Noch einmal fielen Schüsse, und dann hörte ich, dass sich die Hubschrauber entfernten. Ich rührte mich nicht. Ich dachte, dass jetzt die Soldaten alle Gärten durchsuchen und uns finden würden. Oh Gott! Was habe ich getan! Ich bin so ein Idiot.
Viele taten es und fanden den Tod, hatte mein Vater gesagt. Hätte ich nur auf meinen Vater gehört. Er sagte mir doch, dass es gefährlich sei, sich der Regierung entgegenzusetzen. Er hatte mich doch gewarnt, dass man im Gefängnis landen würde.
Sie würden nicht nur mich, sondern auch meine Familie vernichten. Aber würden sie herausfinden können, wo meine Familie lebt?
Unter den Weinreben wartete ich auf die Soldaten. Ich glaubte fest daran, dass sie mich gleich festnehmen würden. Sogar überlegte ich mir eine Erklärung, um meine Anwesenheit dort zu rechtfertigen: Ich bin ein Student. Ich bin hierhergekommen, um einen Freund zu besuchen. Dabei habe ich mich verlaufen. Ich wollte nur diese Männer im Garten fragen, ob sie mir weiter helfen könnten.
Aber die Gedanken trieben mich immer wieder zur Verzweiflung. Was, wenn sie mir nicht glauben? Was ist, wenn die Kameraden mich verpfeifen? Gott! Wenn ich dieses Mal davon komme, werde ich so etwas nie wieder tun. Gott! Steh mir bei!
Es passierte aber nichts. Keine Soldaten und keine Festnahme. Ich hörte gar nichts. Als wären alle Lebewesen tot gewesen. Vielleicht hatten sie mich nicht finden können und waren weggegangen, dachte ich.
Trotzdem verließ ich mein Versteck nicht. Sie konnten mir eine Falle gestellt haben. Vielleicht lauerten sie draußen darauf, dass ich unter den Weinreben herauskäme. Ich wusste nicht, ob es die anderen geschafft hatten dort wegzukommen.
Mit jeder Minute wuchs die Hoffnung in mir. Die Gefahr schien vorüber zu sein. Ich blieb aber trotzdem unter den Weinreben.
Nach knapp zwei Stunden hörte ich Personen den Garten von Mahmouds Familie, in dem wir angegriffen wurden, betreten. Und dann plötzlich panische Schreie. Offensichtlich waren sie auf etwas Schreckliches gestoßen. Lauter Aufregung redeten sie alle gleichzeitig und extrem laut und deshalb teilweise unverständlich. Als ich aber solche Sätze hörte, wie: „Sie bewegen sich nicht mehr …, holen wir einen Arzt, sie sind beide tot“, wusste ich, was passiert war. Aber wen hatte es getroffen? Es machte mir Sorgen, und natürlich auch Angst, dass zwei Personen draufgegangen waren. Aber ich war froh, dass mir nichts passiert war.
Ich hörte immer mehr Menschen den Garten betreten. Sie waren verwirrt und durcheinander. Es war bestimmt ein schrecklicher Anblick. Sie hatten offenbar noch nie so etwas gesehen und wussten nicht, was zu tun war. Nach zwei, drei Stunden waren sie weg. Hoffentlich mit den Leichen!
Bis nach Mitternacht blieb ich in meinem Versteck. Ich wollte kein Risiko eingehen. Ich war am Leben und frei, und das verdankte ich meinem Glück. Jetzt lag es an mir, klug zu handeln und keinen Fehler machen, um mein Zuhause sicher zu erreichen.
Nachdem ich sicher war, dass keiner mich sehen würde, kam ich vorsichtig unter den Weinreben heraus. Aus Neugier wollte ich einmal zu der Stelle, wo wir angegriffen wurden, zurückgehen, um vielleicht etwas von meinen Kameraden sehen oder finden zu können.
Mit viel Mühe gelangte ich auf die andere Seite der Mauer. Ich war erstaunt, wie einfach ich, als wir angegriffen wurden, die Mauer an derselben Stelle überwunden hatte.
Zu sehen gab es nichts. Die Leichen waren schon weg. Es roch aber immer noch nach Blut. Genauer gesagt, nach einer Mischung aus Schmauch und Blut. Einem Geruch, das Furcht erregte. Noch immer erinnere ich mich an diesem Geruch, obwohl es viele Jahre zurückliegt.
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