Dienstag, 26. März 2013
Die Erzählungen eines afghanischen Gotteskriegers
Zwei Tage, nachdem wir einen russischen Konvoi angegriffen hatten, erschienen zwei Hubschrauber am Himmel und nahmen die Gegend unter Beschuss. Ihnen schlossen sich weitere Hubschrauber an. Sie fingen an, die Felder und Abhänge zu bombardieren. Wir waren überrascht. Jeder suchte irgendwo Zuflucht. Die Dorfbewohner waren in Angst und Schrecken versetzt. Die, die draußen waren, eilten nach Hause. Binnen Sekunden war das Dorf leer. Keiner wagte es, über die Türschwelle zu gehen. Ich versteckte mich in einem Trog im Heu.
Man hörte nur Explosionen und die Rotoren der Hubschrauber. Die Erde bebte. Das Bombardement war sehr heftig.
Die Aktion dauerte über drei Stunden. Als die Hubschrauber nicht mehr zu hören waren, hob ich langsam und vorsichtig den Kopf, um einen Blick nach draußen zu werfen. Von Feldern und Abhängen stieg Rauch auf. Das Dorf war ruhig. Die Schafe im Stahl hatten sich in eine Ecke verkrochen. Sie spürten auch, dass etwas nicht stimmte. Ich fragte mich, ob die Feinde jetzt das Dorf durchsuchen würden. Es waren keine Panzer oder Soldaten zu sehen, aber ich blieb trotzdem in meinem Versteck und vergrub mich noch tiefer im Heu.
Irgendwann nahm ich ein Aufruhr wahr. Vorsichtig hob ich wieder den Kopf. Einige Bewohner eilten in Richtung der Dorfmitte. Unter ihnen sah ich auch manche Kameraden. Das hieß, die Feinde waren weg, und es gab keine Durchsuchung.
Ich verließ mein Versteck und folgte ihnen. Viele Männer waren auf dem runden Platz in der Mitte des Dorfes zu sehen. Irgendwas lag auf dem Boden und mehrere Männer hockten daneben. Als ich näher kam, sah ich eine Leiche auf einem Tuch liegen. Ein Dorfbewohner war das. Er war blutüberströmt. Sein linkes Bein war zerfetzt. Erde klebte an seinem Gesicht und seiner Kleidung.
Eine alte Frau eilte herbei. Als sie einen Blick auf die Leiche warf, fiel sie schreiend auf die Knie und brach zusammen. Die Männer halfen Ihr, auf die Beine zu kommen. Sie stand auf und warf sich auf die Leiche. Die Männer zogen sie zurück. Sie versuchte es wieder. Ihr Kopftuch fiel hin und ihr Kleid war voller Blut. Es war ihr Sohn. Er arbeitete auf den Feldern, als die Gegend bombardiert wurde. Eine vom Hubschrauber abgeworfene Bombe war unweit von ihm explodiert. Es war ein trauriges Bild.
Die Männer trugen die Leiche in Richtung der Moschee. Die alte Frau lief schreiend hinter ihnen her. Mehrmals fiel sie hin, stand wieder auf und lief weiter.
Gegen Abend hielten sie ein Gebet für den Toten, und beerdigten ihn dann auf dem Friedhof, das hinter dem Dorf lag.
Irgendwie fühlte ich mich schuldig an der Sache. Ich hatte die Feinde provoziert und damit den Tod eines jungen Mannes verursacht. Vielleicht sah die Familie des Verstorbenen auch die Sache so.

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